Circus proletarius maximus – Wir senden live!


04.February 2008

Samstag. Kurzer Besuch beim Elektronik Fachmarkt meines Vertrauens. Naja, neben dem eigenen “Schaun mer mal” Auftrag hatte ich auch noch ein paar Lebensmittel mitzubringen. Passt ja. Ein “Kaufland” ist ja direkt gegenüber dachte ich mir in meinem jugendlichen Leichtsinn. Also zunächst mal überteuerte Elektronik die keiner braucht angesehen, und dann noch ab ab rüber zum “Kaufland” in Delmenhorst.
(Freie Übersetzung: Kaufland Delmenhorst = Circus proletarius maximus, doch lest selbst.)

Also, rauf auf den Parkplatz. Auto zu und losgelaufen. Als ich gerade so dabei bin in Scheuklappenmanier über den Parkplatz zu stapfen fallen mir Dinge auf, die mich hier an dieser Stelle schon hätten stutzig machen müssen. Alles voller Proll Schüsseln. Wirklich! Da stand ein Oppel Corsa mit SOLCHEN Endrohren neben dem anderen. Überall GSI, GTI, und Billigtuning soweit das Auge reicht. Unterbrochen wurde die Prollcar Show nur von vereinzelten Uralt-Autos, die garantiert nie mehr über den TÜV kommen. Dem geneigten Leser sei gesagt, so große innere Scheuklappen gibt es gar nicht, die ich hier schon gebraucht hätte. Nun gut, ich brauche Lebensmittel, und ich bin nun hier. “F2 sei stark” dachte ich mir so, und betrat den Laden mittlerer Kaufpalastgrösse. Zunächst war ich mal überrascht. Mir begegnet ein riesiger Bio-Obst-und-Gemüse Stand mit einer richtig guten Auswahl. Dazu sah der Laden aus, als gäbs hier ne ganze Menge. Ich begann mich also mit einem Bund Bananen zu beschäftigen, als plötzlich und aus dem nichts eine Sirene losging, die gut und gerne den zweiten Weltkrieg überstanden haben muss. Aber weit gefehlt. Neben mir baute sich original eine RICHTIG fette Frau von ungefähr 1,52 Metern auf, deren Haare sicherlich ausgewrungen eine Flasche Olivenöl ergeben hätte. Mit einer Stimme aus Whiskey und Kippen feuerte dieses hmm, “Etwas” eine volle MG Salve Beschimpfung auf Ihre höchstens 5 Jahre alte, aber ebenso verwahrlost dreinblickende Tochter ab. Gott ne dachte ich als ich die Kleene sah, die hat ja genau so dicke Augenränder wie ich, aber ich bin Jahrzehnte älter. Ich wollte mich grade so von diesem Schock erholen, als ich beim Blick um die nächste Ecke sofort wieder erstarren musste. Da standen Mr. Spackenschlacks und Misses “Ich hab noch nie n Spiegel gesehen” direkt vor mir. Er mit ich hab 15cm Haare auf dem Kopf und rechts und links dann bis zu den Ohren Glatze. Dazu ne Hipphopper-Arschhose, Bomberjacke, Goldkettchen und Rip-Unterhemd. Sie dazu mit Kniehohen Stiefeln, Gel-Schleim-Klatsch-Lange-Haare Frisur, Netzbluse in Lila und drüber eine dreckige weiße Daunenjacke. WAAAAA! Prollalaaarm. Erst wollt ich fragen: “Welcher der Armuts-GSI” gehört denn Euch?”; Ich konnts mir aber klemmen…

Langsam, GANZ langsam wurde mir der Laden wirklich unsympathisch. Je weiter ich die Gänge durchsah, desto mehr geistige Armut schlug mir entgegen. Da muss heute irgendwo Werbung gewesen sein.
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Heute Fasching: Wer sich am Besten als stumpfer Proll oder Mitglied einer populären Gesellschaftsrandgruppe verkleiden kann, zahlt nur die hälfte. Wer wirklich nix im Kopp hat zahlt heute nur 120%.**

Nichts! Keine Werbebanner, keine Schilder. Nur pure Wirklichkeit. Inzwischen bin ich bei den Frischwaren. Wuaaaaah! Mutti in Fleecepulli und Jogginhose: Geschätzte 0,5 Tonnen Lebendgewicht. Dazu die ca. 13 jährige Tochter in High Heels und Minirock. HALLO??? Beim Einkaufen? So?, mit 13? Und, wie blass kann man in dem Alter sein? Ich bin ja käsig, aber die Lütte hätte man nackt vor einer weißen Wand nicht entdecken können!

Schnell weiter zur Kasse. GANZ schlechte Idee. War diese Sammlung an gelebter und offen zur Schau gestellter geistigen Armut bisher nur kleckerweise und Stück für Stück im ganzen “Kauf-Land” verteilt, kam an der Kasse quasi eine Massendemo auf mich zu. Hätte man hier PISA Tests verteilt, wäre wohl später jemand im Fernsehen aufgetreten, und hätte Deutschland erklärt. “… voller bedauern stellten wir fest, dass unsere Nation zwar körperlich präsenter ist als nie zuvor, jedoch in diesem Zustand leider Hirntot…”
An der Kasse habe ich auch gelernt, wer die ganzen Sachen bei Kik kauft, und vor allem die ganzen wirklich hässlichen Sachen in den Klamottenläden. Dazu weiß ich nun auch wieder wie man ohne Rücksicht auf Andere und mein Wohlbefinden stinken kann, als wenn man in einer Küche wohnt und keine Dusche hat. Ich weiß nun wie man einen Ehekrach in 120 Dezibel führen kann, während 100 Leute um einen rumstehen, und man soeben dabei ist, die Kalorienreserven aufs Fliessband zu stellen. Gelungen ist auch die “Noin, Alter, Isch bin wirklisch 18. Nee, Ausweis habesch ned mit. Komm’ mach misch ned an wegen da Barcadi” Show an Kasse 9 gewesen. Überhaupt muss ich mal in Duden nachsehen, wie viele deutsche Wörter mit “sch” existieren. Oder gibt es evtl. einen Übersetzer “Pisa-Opfer-Möchtegern-Ganster-Deutsch” – “Deutsch”. Also im Kaufland Delmenhorst haben die so was nicht.
Wenn, ja wenn unter den 16 Tonnen Schminke “meiner” Kassiererin tatsächlich ein Gesicht existierte, dann war dies wenigstens freundlich. Ich hatte Gemüse für 7,35 Euro bei mir, und wurde allen Ernstes gefragt: “Waren Sie mit Ihrem Einkauf zufrieden?”. Öhm, was bitte sollte mir nun diese Frage sagen? “Mit dem Einkauf ja, aber würden Sie die anderen Kunden bitte entfernen lassen?” – Oder “ Ja, nettes Rahmenprogramm wird hier geboten. Treten die Schauspieler auch in Gerichtssendungen auf?”. Evtl. wäre auch ein “Ich komme nie wieder!” ehrlich gewesen. Um mir ein Messer im Rücken zu ersparen, welches mir der Abstiegskandidat hinter mir sicher bei falscher Antwort verpasst hätte, hab ich dann aber ganz angepasst und freundlich “Ja sicher” gemurmelt, und hab zugesehen, das ich weg komme.
Also, solltet Ihr je von der B75 in Stickgras abfahren und noch Lebensmittel brauchen, fahrt woanders hin. Sollte Euch jedoch mal nach Twilight Zone und purem Entsetzen sein: Der Circus proletarius maximus hat täglich von 09:00 Uhr bis 20:00 Uhr geöffnet und empfängt sowohl Akteure als auch Zuschauer. Ich empfehle einen Besuch zu Monatsanfang. Ich bin sicher, dass zu Beginn eines Monats das Aufkommen und die Einsatzfreudigkeit der Akteure am höchsten sind. Warum dies so ist, naja, kann ich nicht erklären ….